Führung in der Krise: Die spannenden Erkenntnisse des Polarforschers Shackleton (Teil 2)
Erinnern Sie sich an die Geschichte von Ernest Shackleton aus meinem letzten Beitrag? Durch hervorragende Führung und professionelles Krisenmanagement gelang es dem Polarforscher, eine Crew mit 28 Mitgliedern fast zwei Jahre auf einer Packeisscholle überleben zu lassen und gerettet zu werden. Es ist eine Geschichte über Teamarbeit, Loyalität, Verantwortungsbewusstsein, Entschlusskraft und Optimismus. Stattgefunden hat sie vor hundert Jahren, aber sie ist aktuell wie nie.
Im ersten Teil erzählte ich das spannende Abenteuer und stellte die zehn Grundsätze zur Entwicklung von Führungsqualitäten vor. Falls Sie diesen nicht mehr in Erinnerung haben oder nicht gelesen haben: Hier geht es zu Teil 1.
Heute geht es um die Auswahl eines Teams, den Aufbau eines harmonischen Teams, die Entfaltung individueller Begabungen sowie um Krisenmanagement – Führungsfähigkeiten, die ich in Zeiten von Digitalisierung, Disruption und immer schneller werdenden Innovationsprozessen bei gleichzeitigem Kostendruck für erfolgskritisch halte. Die wichtigsten Erkenntnisse Shackletons hierzu habe ich Ihnen daher im Folgenden zusammengestellt:
Grundsätze für die Auswahl und Organisation eines Teams
Vielleicht erinnern Sie sich an Shackletons Stellenanzeige. Sie lautete sinngemäß: „Suche Leute für gewagte Reise. Es wird kalt, dunkel und gefährlich, sichere Rückkehr ist ungewiss. Wenn es gelingt, wird es Ehre und Anerkennung geben.“ Damit hat Shackleton alles richtig gemacht, nämlich sich ein Team geschaffen, dass seine Vision und die dafür notwendige Haltung im Wesentlichen teilt. Risikoaverse, sicherheitsbedürftige Menschen hätten sein Unterfangen - auch ohne im Eis stecken zu bleiben - eher gefährdet, als genützt. Zudem war es Shackleton immer wichtig, einen Stellvertreter zu haben. Eine starke Nummer zwei, die loyal, aber kein Jasager ist. Darüber hinaus hat Shackleton richtiger Weise darauf geachtet, seine eigenen Lücken durch sein Team auszugleichen. In der heutigen Recruitingpraxis übrigens ein Manko, denn die meisten Führungskräfte suchen solche Mitarbeiter, die ihnen möglichst ähnlich sind. Aber das ist falsch. Zwar sollte die Vision und die generelle Haltung zur Aufgabe und zur Führungskraft passen, aber jeder Teamleader hat Schwächen, die er mit den Fähigkeiten und Kenntnissen seines Teams hervorragend ausgleichen kann. Last but not least möchte ich eine vermeintliche Banalität erwähnen, die nach meiner Erfahrung oft vernachlässigt wird und die sich Shackleton zum Grundsatz machte: Erklären Sie neuen Mitarbeitern ganz unmissverständlich, welche Pflichten und Anforderungen mit ihrem Job verbunden sind und wie sie vergütet werden. Viele Arbeitsbeziehungen scheitern aufgrund anfänglicher Missverständnisse.
Grundsätze für den Aufbau eines harmonischen und geeinten Teams
Steht das Team fest, ist zwar viel geschafft, aber das heißt noch lange nicht, dass es als solches auch funktioniert. Also gemeinsam und harmonisch arbeiten, statt auf individuelle Vorteile bedacht und eher gegeneinander. Shackleton achtete daher darauf, dass Gerechtigkeit herrschte. Ein Beispiel: Wenn das Essen verteilt wurde, musste jeder, auch Shackleton selbst, seine Portion zunächst jemand anderem anbieten. Damit wurde Übervorteilung einzelner verhindert. Das lässt sich so sicher nicht auf die heutige Arbeitswelt übertragen. Kaum jemand wird sein Gehalt zunächst dem Kollegen anbieten. Aber die Haltung dahinter sehr wohl. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gilt es, das Gemeinwohl der Gruppe im Blick zu haben. Auch eine andere Maßnahme Shackletons gehört in diese Kategorie: Zwar gab es feste Zuständigkeiten, aber er ließ jeden alles machen, zumindest vertretungsweise. Damit hat er sowohl Hierarchien abgebaut, als auch die Unentbehrlichkeit des einzelnen. Sich selbst schloss er niemals aus, auch nicht von den unliebsamen Arbeiten, wie zum Beispiel das Deck zu schrubben. Eine seiner wichtigsten Fähigkeiten kam Shackleton in diesem Zusammenhang besonders zu Gute: er beobachtete stets genau. Erst wenn er die Situation verstand, urteilte er und traf Entscheidungen. Dabei bezog er sowohl die äußeren Umstände, als auch die Charaktere der beteiligten Personen in Betracht. Auf diese Weise gelang es ihm, auch schwierige Veränderungen so zu gestalten, dass die Crew hinter ihm und seinem Vorhaben stand. Heute heißt das Change Management, damals half es etwa dabei, das Schiff zu verlassen und durch die kalten Berge Georgiens zu wandern.
Grundsätze für die Entfaltung individueller Begabungen
Auch das erkannte Shackleton bereits vor hundert Jahren: Die größten Begabungen und Talente im Team nützen nichts, wenn nicht jeder einzelne seine Fähigkeiten auch entfaltet. Und das tut der Mensch, wenn er sich wohl fühlt. Nun ist das in Krisensituationen nicht immer gegeben, zum Beispiel feststeckend in der Antarktis oder auch in einem Unternehmen, das Kosten einsparen muss. Dennoch kann man auf ein paar Dinge achten, so wie Shackleton: Zum Beispiel gab er seiner Crew ständig Rückmeldungen darüber, ob er zufrieden mit ihrer Arbeit war oder nicht und wenn nicht, warum nicht. Heute heißt das Feedback und nicht umsonst ist es fester Bestandteil fast aller Führungsseminare. Gleichermaßen lobte er einzelne Mitglieder, wann immer es ihm möglich war. Und ebenso wie er ranghohen, gebildeten Crew-Mitgliedern von Zeit zu Zeit einfache Arbeiten übertrug, so ließ er auch einfache Bootsleute herausfordernde und wichtige Arbeiten verrichten. Er gab jedem das Gefühl, dass sein Beitrag unverzichtbar war (und das war ja auch so, ebenso, wie es das heute in jedem Unternehmen ist). Insgesamt ist über Shackleton einheitlich überliefert, dass er der menschlichen Komponente in der Zusammenarbeit stets einen sehr großen Stellenwert einräumte. Dabei war er äußerst tolerant. Er kannte die Stärken und Schwächen seiner Crew genau und passte seine Erwartungen entsprechend an. Nie urteilte er über Persönlichkeitsmerkmale, stattdessen kümmerte er sich um seine Leute, wenn er das Gefühl hatte, dass sie es brauchten. Das klingt ein bisschen nach Kuschelkultur, wovon die Gesamtsituation aber ja weit entfernt war. Klar ist: Eine Führungskraft, die ihre Mitarbeiter kennt, nicht verurteilt, so weit als möglich für ihr Wohlergehen sorgt und dabei transparent und nachvollziehbar Feedback gibt, kann mit besseren Arbeitsergebnissen rechnen. So einfach kann das sein.
Grundsätze für das Krisenmanagement
Zuletzt gebe ich Ihnen noch ein paar von Shackletons Erkenntnissen für das Krisenmanagement mit, das damals ganz sicher nicht so hieß. Das Wichtigste war für Shackleton stets, nach Eintreten einer Krise (und von denen durchlebte die Crew ja mehrere) sofort mit seinen Leuten zu sprechen. Dabei galt für ihn: Immer Zuversicht ausstrahlen, aber niemals beschönigen. Natürlich musste er dennoch unpopuläre Maßnahmen ergreifen. Arbeitsprozesse wurden rationalisiert, Lagerbestände ebenso. Dabei wies er seine Mitarbeiter von Zeit zu Zeit auf den Ernst der Lage hin, denn nach einer Weile gewöhnte sich sein Team an die jeweilige Krise und befand sie als normal. Dann aber lassen sich unpopuläre Entscheidungen schlecht durchsetzen. Dabei handelte er anders, als viele Change Management-Handbücher es beschreiben. Die Unzufriedenen, die Nörgler und Störer nahm er sich nämlich besonders intensiv vor. Er versuchte ihrer Unzufriedenheit auf den Grund zu gehen, statt sie zu ignorieren. So gelang es ihm immer wieder sie auf Kurs zu bringen. Ich gestehe, dass ich das für eine der größten Herausforderungen halte. Einen anderen von Shackleton gelebten Grundsatz halte ich in Krisen für eine Kern-Führungsaufgabe: nach vorne schauen. Es sei den Mitarbeitern zugestanden, dass sie an Altem eine Weile festhalten. Aber sie werden darin verharren, wenn die Führungskraft es auch tut. Gerade in schwierigen Situationen gilt es, die Zukunft zu gestalten und weder Zeit noch Energie auf die Vergangenheit zu verschwenden. Und noch etwas wird bisweilen vergessen: Krisen erfordern Entscheidungen. Shackleton hörte sich zwar die Sicht seiner Mitarbeiter genau an und er betrachtete Situationen eingehend. Aber am Ende war er es, der konsequent Entscheidungen traf. Offensichtlich mehrheitlich die richtigen, denn bekanntermaßen überlebten alle.
Ich finde es außergewöhnlich, dass all diese Grundsätze bereits vor hundert Jahren entwickelt wurden. Sie hören sich an, wie Regeln, die man modernen Managern zurufen möchte. Erst vor kurzem veröffentlichte die Arbeitgeber-Bewertungsplattform kununu für das Manager Magazin eine Auswertung, wie die Mitarbeiter von Dax-30-Unternehmen ihre Chefs beurteilen. Ich drücke den Unternehmen der hinteren Plätze die Daumen, dass sie daraus lernen und umdenken.
Übrigens: Wir von der top itservices AG sind auch nicht perfekt. Aber wir arbeiten daran und stellen das Thema Führung dabei in den Vordergrund. Wir entwickeln unsere Führungskräfte beständig weiter und bieten unter anderem Workshops nach den Grundsätzen von Shackleton an. Lust auf einen Job bei uns? Hier geht es zu den internen Stellenausschreibungen.
Bildquelle: Denis Burdin / Shutterstock