Innovation und IT-Überalterung: Gegensatz oder Lösung
Wir beobachten aktuell zwei vermeintlich gegenläufige Trends: Die Unternehmens-IT wird zunehmend als Innovationstreiber und Schlüsselfaktor für die digitale Transformation von Geschäftsprozessen gesehen – so beispielsweise eine kürzlich veröffentlichte Studie des Forschungs- und Beratungsunternehmens Pierre Audoin Consultants (PAC).
Gleichzeitig steigt der Anteil der über 50-jährigen in der IT kontinuierlich an – eine Folge des demografischen Wandels. Auch bei der top itservices AG lässt sich das beobachten. Circa 30% unserer Kandidaten sind über 45 Jahre. Bei vielen etablierten IT-Organisationen liegt der Altersschnitt ebenfalls deutlich über der 40.
Das Machbare zählt am Ende
Was zunächst widersprüchlich klingt, ist in Wahrheit eine Chance. Denn tatsächlich können Innovationen nicht allein von einer Ansammlung junger, unerfahrener Mitarbeiter vorangetrieben werden. Natürlich bringen junge Spezialisten unverbrauchte Ideen mit und neue Kenntnisse, die älteren Fachkräften teilweise (durchaus nicht immer!) fehlen. Aber das reicht noch nicht, um Unternehmen auf die Zukunft vorzubereiten, dafür braucht es viel mehr. Zum Beispiel Kenntnisse über die Entscheidungsstrukturen im Unternehmen – und sei es, um sie kritisch zu hinterfragen oder zu durchbrechen.
Dazu fällt mir eine Case Study aus dem wunderbaren Buch “Confessions of a Successful CIO“ ein (Roberts, Dan. Confessions of a Successful CIO: How the Best CIOs Tackle Their Toughest Business Challenges. Wiley Verlag 2014). Der neue CIO der über 150 Jahre alten Eisenbahngesellschaft Union Pacific stellte sich die Aufgabe, das gesamte Transport-Steuerungssystem auf Vordermann zu bringen. Denn obwohl die Gesellschaft mir ihrer Innovationskraft warb, war das System aus den sechziger Jahren und damit genauso alt, wie der CIO selbst. Lynden Tennison, der CIO, beschloss, das neue System auf Java-Basis in-house entwickeln zu lassen.
„Institutional Memory“
Aber nicht alle Mitarbeiter waren davon begeistert. Vor allem ältere Mitarbeiter hatten Angst, entlassen zu werden. Sie fürchteten, dass ihre veraltete Ausbildung für das innovative System nutzlos sein könnte. Aber Tennison bewertete das ganz anders. Für ihn waren die langjährigen Mitarbeiter die „Institutional Memory“, das institutionelle Gedächtnis, und das war für ihn unbezahlbar. „From a functional standpoint, these individuals and their knowledge were crucial. (…) They knew all the deep secrets”, so Tennison. Er hielt also die bewährten Mitarbeiter für entscheidend für einen Erfolg. Und er versprach, keinen von ihnen zu entlassen. Stattdessen tat er etwas anderes: In großer Anzahl wurden Young Professionals von den Universitäten rekrutiert. Aber alle Arbeitsteams für das neue System wurden paritätisch besetzt: aus neuen Mitarbeitern, die die Technologie-Skills mitbrachten und aus langjährigen Mitarbeitern, die wussten, wie das Unternehmen „tickt“. Zusammen konnte die neue Technologie entwickelt und in den laufenden Betrieb integriert werden – eine Herkulesaufgabe, da die Züge kontinuierlich laufen mussten und die neue Technologie peu à peu neben den Altsystemen aufgebaut werden musste.
Am Ende wurde das neue System ein Erfolg. Das beteiligte Team wurde sogar extern angefragt, um das neu entwickelte Technologie- und Prozesswissen zu verkaufen. Heute existiert eine eigene Gesellschaft, die die Software-Lösung an Eisenbahngesellschaften weltweit vermarktet.
Wir sehen an diesem Beispiel: Es braucht einen sicheren Blick für das Machbare. Was kann bis wann mit welchen Kosten umgesetzt werden? Wer entscheidet was? Welche Dinge aus der Unternehmensvergangenheit könnten hinderlich sein, welche förderlich? Diese Fragen können erfahrene Mitarbeiter meist besser beantworten.
Gelassenheit hilft
Und wenn es einmal nicht klappt? Immer wieder wird im Zusammenhang mit Innovation auf die notwendige Risikobereitschaft und den Willen, Fehler zuzulassen hingewiesen. Und dafür braucht es eine gesunde Portion Gelassenheit. Die Fähigkeit, mit Rückschlägen umzugehen und sie als Chance zu begreifen, statt als Versagen. Zudem hilft es bei der Einführung neuer Produkte oder Prozesse ungemein, wenn man Menschenkenntnis mitbringt. Das Wissen und die Fähigkeit, mit ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten, ihren Motiven, Eitelkeiten und Interessen umzugehen. Das wird ein 25-jähriger kaum leisten können.
Frische Luft tanken
Es lässt sich allerdings nicht weg diskutieren, dass langjährige Mitarbeiter schon viele Veränderungen mitgemacht haben und deren und teilweise auch müde sind. Das Falscheste wäre, dem nachzugeben und sie deshalb auszusortieren. Hier möchte ich noch einmal auf Lynden Tennison verweisen. Sehr klug begann der nämlich ein Job-Rotating-System zu etablieren, und zwar innerhalb und außerhalb der IT-Abteilung und auf allen Ebenen. Jeder sollte etwas „neue Luft“ schnuppern und lernte dabei ganz nebenbei alle Facetten der Neueinführung des Java-Systems kennen. Außerdem führte er ein, dass auch sehr kleine, disruptive Erfolge sichtbar gemacht und belohnt wurden. Das steigerte die Motivation aller ungemein und hatte nebenbei den Effekt, dass der wirtschaftliche Fortgang des Projektes zu jeder Zeit messbar war. Also: Mitarbeiter bei Ermüdung frische Luft tanken lassen, aber nicht an selbige setzen!
Am Unternehmen orientiertes Wertesystem
Aber es gibt noch mehr Vorzüge für den Einsatz älterer Mitarbeiter. So zitiert die ZEIT die Psychologin und Alterforscherin Ursula Staudinger: »Ältere Arbeitnehmer haben eine höhere Arbeitsmoral und mehr Bewusstsein für Qualität“. Auch das deckt sich mit unseren Erfahrungen. Aus meiner Sicht ist damit weniger gemeint, dass die jungen innovativen Kollegen schludrig arbeiten oder dass ihnen die Qualität egal wäre. Aber langjährige Mitarbeiter haben meist ein sehr klares, am Unternehmen orientiertes Wertesystem. Das können ganz junge Menschen, die womöglich frisch von der Uni kommen, noch gar nicht entwickelt haben. Sie sind oft hochmotiviert und wollen ihren eigenen Erfolg vorantreiben. Großartige Eigenschaften, aber die Besonnenheit der älteren ergänzt dies in wunderbarer Weise, damit neue Projekte ein Erfolg für das Unternehmen werden können.
Optimale Teams sind gedrittelt
Innovative Unternehmen mit einer längeren Firmengeschichte brauchen also beides, junge Innovatoren und erfahrene Mitarbeiter. Die Mischung macht’s. Wir machen gute Erfahrungen damit, für die Entwicklung neuer Produkte vorrangig jüngere Mitarbeiter zu platzieren. Bei der Einführung der Produkte oder Prozesse im Unternehmen aber wird immer ein Anteil von 30 % erfahrener Mitarbeiter empfohlen. Optimale Teams sind gedrittelt: Ein Drittel ist jung, also unter 35, und auf die Entwicklung neuer Produkte oder Prozesse ausgerichtet. Ein Drittel ist zwischen 35 und 45 und ein Drittel über 45. Das lässt sich natürlich nicht immer realisieren. Aber eine gute Durchmischung der Altersstruktur sollte im Blick behalten werden. Dann können IT-Abteilungen wirklich als Businesspartner und strategische Innovations-Teams fungieren.
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Topics: Management, Neue Arbeitswelt